Eine Woche zwischen Klopapier-Jagd, Online-Kaffeekränzchen und Naturexpeditionen, zwischen Genervtheit und Stress auf der einen und Verbindung und Entspannung auf der anderen Seite. Mein ganz persönlicher Rückblick.
Inhalt
Vier Phasen der Krisenbewältigung
Psychologen gliedern die Krisenbewältigung in vier Phasen: Die erste ist eine Art Schockzustand (Johann Cullberg), ein Nicht-Wahr-Haben-Wollen. Die Phase habe ich vor etwa sechs Wochen, also Ende Februar, durchlebt. Damals gab es schon die ersten Freunde und Bekannten, die vor der Corona-Gefahr warnten. Meine Reaktion: Ach, so schlimm wie in China wird das alles nicht werden, ich fühle mich hier sicher. Und bitte lasst uns doch über was anderes als Corona sprechen.
Phase zwei ist die Reaktionsphase, in der wir damit beginnen, uns der Situation zu stellen, jedoch sehr oft mit den unterschiedlichsten Abwehrmechanismen reagieren: Verdrängung, Verleugnung, Wut, Angst, Suchtverhalten… Manchmal suchen wir auch nach einem Schuldigen oder fragen uns: Warum passiert das alles? Plötzlich prasseln vielfältige Gefühle auf uns ein, und der Drang etwas zu unternehmen wird immer stärker.
Bei mir war das der Zeitpunkt, zu dem ich jede nur greifbare Information zum Thema Corona verschlungen habe, versucht habe, Kontrolle über eine Situation zu erlangen, die ich nicht oder nur sehr bedingt kontrollieren kann. Und das war auch der Zeitpunkt, zu dem ich unser Vorratsregal im Keller systematisch aufgefüllt habe. Nicht als Hamsterkauf, das wäre mir viel zu peinlich gewesen. Aber bei jedem Einkauf immer wieder ein bisschen. Was ich dabei allerdings wohl vergessen habe: Klopapier…
Plötzlich prasseln vielfältige Gefühle auf uns ein, und der Drang etwas zu unternehmen wird immer stärker.
Aktuell würde ich mich selbst in Phase drei (Bearbeitungsphase) verorten: Ich beginne, die Krise und alles was an Einschränkungen und Herausforderungen damit einhergeht, zu bearbeiten und zu akzeptieren. Psychologen sagen, das ist die Zeit, in der wir uns unserer Eigenverantwortung wieder bewusst werden. Ich empfinde diese Phase vor allem als einen kreativen Prozess, in dem wir so viel Neues ausprobieren, wieder verwerfen oder auch dauerhaft in unseren Alltag integrieren. Indem wir zwar nach wie vor trauern über Dinge, die wir zurzeit nicht mehr tun können wie Freunde und Familie treffen, in der Gemeinschaft unsere Hobbys ausleben – ja, wir sogar Kindergarten, Schule und Arbeit schmerzlich vermissen. Wir gleichzeitig neue, ganz wunderbare Wege finden, unser Bedürfnis nach all diesen liebgewonnenen Gewohnheiten zu nähren. Und genau darüber möchte ich heute hier berichten.
Zusammenstehen ohne zusammen zu stehen
Seit zwei Wochen haben wir uns als Familie weitestgehend selbst isoliert. Wir treffen weder Freunde noch Verwandte, schon gar nicht Oma oder Opa. Wir arbeiten aus dem Homeoffice und gehen nur zum Einkaufen oder Spazierengehen raus. Unser gesellschaftliches Leben liegt deswegen allerdings noch lange nicht auf Eis. Täglich gehen viele Sprach- und Textnachrichten hin und her, wir greifen zum Telefon und – was mich persönlich besonders freut – die Kinder haben Spaß daran entwickelt, Briefe zu schreiben.
Anfang der Woche gab es einen Geburtstag in der Familie. Statt des geplanten gemeinsamen Kuchenessens überraschten wir die perplexe Neunjährige mit einer kleinen Videokonferenz an der alle eingeladenen Gäste teilnahmen und ihr ein gemeinsames Ständchen brachten. Ebenfalls per Videokonferenz traf sich Ende der Woche unsere GFK-Gruppe – inklusive Erinnerungs-Screenshot bei dem wir alle unsere Kaffeetassen hochhielten. Kaffeekränzchen mal anders. Auch der Gitarrenlehrer ging einen neuen Weg: Er unterrichtete unsere Große via Skype. Das alles waren rührende Momente der Verbundenheit in schwierigen (und für viele auch einsamen) Zeiten.
Corona lockt uns aus unserer Komfortzone
Ich kann fast gar nicht glauben, dass ich diese Zeilen schreibe. Denn wer mich kennt, der weiß: Ich liebe die analoge Welt. Auf das haptische Gefühl beim Lesen einer Zeitung oder eines Buches könnte ich ebenso wenig verzichten wie auf persönliche Gespräche, physisch dem Anderen gegenüber zu sitzen, Mimik, Gestik, Energien spüren und darauf reagieren können – das macht für mich den Unterschied zum Chatten oder Telefonieren aus. FaceTime oder andere Formen der Videotelefonie waren mir bisher immer ein Graus. Und nun schaue ich mich gezielt nach solchen Möglichkeiten um, überlege, wie ich die digitalen Medien für mich nutzen kann und will. Privat, aber auch beruflich.
Doch Corona rüttelt gerade an noch viel mehr. An unserer Aufgabenverteilung innerhalb der Familie. An den Fragen: Wer arbeitet wann und wie viel? Wer ist wann für die Kinder da? Und dürfen wir unseren Kinder vielleicht auch viel mehr zutrauen (und zumuten)? Was ist uns als Familie eigentlich wichtig? Welche Werte wollen wir selbst leben und an unsere Kinder weitergeben? Spannend.
Wenn jeder an sich denkt…
… ist an jeden gedacht. Egoismus – ist ja auch ein Wert. Ich höre jetzt die ersten entsetzt aufschreien: Aber keiner, den wir unseren Kindern vermitteln wollen! Nein und ja. Nein, wenn es um solche Dinge wie das Hamstern geht. Wenn ich zehn Packungen Klopapier (Nudeln, Mehl, Reis oder was sonst noch so heiß begehrt ist im Moment) kaufe und der nächste bekommt keine einzige mehr ab, dann ist das nicht nur egoistisch, sondern auch rücksichtslos. Wenn ich allerdings gut für mich selbst sorge, und damit meine ich vor allem, dass ich schaue, was ich brauche, damit es mir gut geht, dann würde ich das „gesunden Egoismus“ oder auch „Selbstliebe“ nennen. Und das wiederum möchte ich meinen Kindern durchaus vermitteln. Soll auch heißen: Es ist okay, wenn ich mal nicht mehr kann. Es ist okay, wenn ich Auszeiten und Ruhe brauche. So lange ich tatsächlich bei mir selbst bleibe und klare Ich-Botschaften sende.
Wie geht es Dir und was brauchst Du?
„Ich bin so erschöpft und brauche jetzt ein wenig Ruhe. Meinst Du, Dir fällt etwas ein, was Du in der Zeit machen kannst? Leg‘ doch vielleicht dieses Puzzle, dann komme ich in zehn Minuten wieder und schaue es mir an, okay?“ – wird auf deutlich größere Akzeptanz stoßen als „Du bist mir viel zu laut. Geh‘ in Dein Zimmer und lass‘ mich in Ruhe.“ – In der vorigen Kolumne schrieb ich ja, dass es mir momentan manchmal sehr schwer fällt, gewaltfrei mit meinen Kindern und auch mit meinem Partner zu reden. Was für mich ein klares Zeichen dafür ist, dass ich da nicht gut mit mir verbunden war.
Deswegen habe ich mir diese Woche die ein oder andere „Freiheit“ zurückerobert, habe an Stellschrauben gedreht, an denen ich drehen kann. So ist wochentags bis zur (M-)Auszeit (um 11.30 Uhr kommt täglich die Maus – Danke WDR-Fernsehen!) Arbeitszeit für Papa und Mama. Natürlich bleiben wir weiter für alle ansprechbar. Aber wir spielen dann nicht mit den Kindern – sie dürfen lernen, sich selbst zu beschäftigen. Und mit ein wenig Geduld und Anleitung kommen sie auch immer besser und kreativer ins Spiel. Eine Chance für alle, an der Situation zu wachsen.
Die Natur bringt uns ins Hier und Jetzt
Unsere größte Verbündete in dieser Woche war jedoch wieder die Natur. Wir sind ausgiebig durch den Wald gestreift, haben den kecken Meisen in unserem Garten zugeschaut und uns an der kleinen Maus erfreut, die im Winter unter unser Gartenhäuschen gezogen ist und nun regelmäßig auf Futtersuche ist. Wir haben Gemüsepflanzen gegossen und beim Wachsen beobachtet, im Dreck und im Bach gewühlt und uns die Sonne auf den Pelz scheinen lassen. Gerade jetzt tut die Natur so gut. Denn sie bringt uns immer wieder zurück ins Hier und Jetzt. Sie erdet uns.
Der Vollständigkeit halber sei noch schnell zum eingangs erwähnten Phasenmodell ergänzt: In Phase vier folgt die Neuorientierung – Wir kommen wieder mit uns selbst in Verbindung und öffnen uns unserer Umwelt. Neue Werte erhalten Einzug in unser Leben, manch‘ alte Einsicht werfen wir über Bord oder überdenken sie zumindest grundlegend.
Während ich das hier so schreibe würde ich sagen: Hin und wieder strecke ich auch dahin schon meine Fühler aus und merke dann, wie ein aufgeregtes Kribbeln sich in meinem Bauch ausbreitet. Jede Krise ist ein hässlich verpacktes Geschenk. Daran glaube ich ganz fest.
Fotos: Birthe Müller-Rosenau (4) / David Schwarzenberg (1)