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In den Blogbeiträgen der vergangenen Wochen und Monate ging es bei uns um die unterschiedlichsten Themen: Mental Load, Selbstfürsorge, Übergänge, Wut, das kindliche Nein…

So verschieden diese Themen auch sind – sie haben etwas gemeinsam:

Immer wieder kommen wir darauf zu sprechen, wie wichtig es ist,

  • die guten Gründe für ein bestimmtes Gefühl oder Verhalten zu erkennen
  • gut für uns selbst zu sorgen
  • zu erkennen, was uns und dem anderen wichtig ist, wenn Konflikte im Anmarsch sind.

Wann immer wir versuchen, herausfordernde Situationen wertschätzend und friedvoll zu klären:  früher oder später landen wir immer in der Schatzkammer der Gewaltfreien Kommunikation: bei den Bedürfnissen…

Aber WIE komme ich meinen Bedürfnissen auf die Spur, wenn ich darin noch nicht so geübt bin?

Woran erkenne ich, was ich in bestimmten Situationen WIRKLICH brauche?

Heute möchten wir noch einmal unsere drei beliebtesten Techniken für das Aufspüren von Bedürfnissen in einem Artikel zusammenfassen.

Diese drei Techniken nennen wir:
1.„Dem Besucher lauschen“
2.„Die Wolfsshow“ (mit 2 Hilfstechniken)
3.„Die Bedürfniszwiebel schälen“

 

1. Dem Besucher lauschen

Während einer GFK-Fortbildung sagte der Trainer einen Satz, der sich in meinem Gedächtnis festgesetzt hat und den ich seither immer wieder gerne zitiere:

„Gefühle sind Besucher. Sie klopfen an und wollen uns etwas sagen. Ignorieren wir sie oder schicken wir sie weg, werden sie zurückkommen und beharrlich immer wieder anklopfen. Und dabei immer lauter werden. Wir können ihnen die Türe öffnen und ihnen unser Gästezimmer anbieten. Wir brauchen keine Angst vor ihnen zu haben: Gefühle bleiben nur so lange zu Besuch, bis wir ihre Botschaft gehört haben.“

Klaus Karstädt

 

Gefühle klopfen bei uns an, weil sie eine Botschaft für uns haben.

Klaus‘ Aussage fußt auf folgender GFK-Grundannahme:
Gefühle sind Hinweisgeber auf Bedürfnisse.
(Unangenehme Gefühle weisen auf unerfüllte Bedürfnisse hin.
Angenehme Gefühle weisen auf erfüllte Bedürfnisse hin.)

Gefühle wollen uns etwas sagen. Sie wollen uns mitteilen, dass es da ein wichtiges (un)erfülltes Bedürfnis gibt, das gesehen werden möchte.

Bei manchen Gefühlen ist das Entschlüsseln ihrer Botschaft auf den ersten Blick ziemlich einfach:

Mir ist kalt. => ich brauche Wärme.
Ich bin hungrig. => Ich brauche Sättigung (Nahrung).
Ich verspüre Durst. => Ich brauche Flüssigkeit (Trinken).
Ich bin müde. => Ich brauche Erholung.
Ich fühle mich angespannt. => Ich brauche Entspannung.
Ich bin vergnügt. => Mein Bedürfnis nach Vergnügen ist erfüllt.
Ich fühle mich unsicher. => Ich brauche Sicherheit.
Ich bin verwirrt. => Ich brauche Entwirrung = Klarkeit.
Ich fühle mich sicher. => Mein Bedürfnis nach Schutz / Sicherheit ist erfüllt.

Wir können unseren Bedürfnissen also mithilfe der Gefühle auf die Schliche kommen.

Jetzt mag der ein oder andere (so wie ich anfangs!) trocken auflachen und sagen: „Ha, ha, guter Witz! Gefühle zu fühlen und zu erkennen fällt mir ja NOCH schwerer als die Bedürfnisse zu sehen!“

Ja! Es fällt uns tatsächlich oft gar nicht (mehr) so leicht, „ins Fühlen“ zu kommen! Manche haben das Fühlen regelrecht „verlernt“…

Hierfür schlage ich zwei „Hilfstechniken“ vor:

Hilfstechnik 1: Körperwahrnehmung

Das Trainieren der Körperwahrnehmung hilft, Gefühle (wieder besser) wahrzunehmen und dafür dann auch Worte dafür zu finden. Es gibt eine ganze Reihe von Achtsamkeitsübungen, die die Körperwahrnehmung schulen. Darauf gehen wir ein anderes Mal näher ein.

Aus den Körperempfindungen lassen sich manchmal sogar direkt Gefühle bzw. Bedürfnisse ablesen:

„Ich fühle Enge in der Brust.“ => Ich sehne mich nach Weite. => Ich brauche vielleicht Raum für mich?

„Ich spüre Druck im Oberkörper.“ => Ich will Druck ablassen, mich entlasten. => Ich brauche vielleicht Entlastung?

„Es fühlt sich alles ganz warm und wohlig an.“ => Ich fühle mich geborgen. => Geborgenheit.

„Es fühlt sich alles irgendwie diffus an, mein Blick huscht unstet umher, meine Bewegungen sind irgendwie eckig und unharmonisch.“ => Ich brauche vielleicht Orientierung, Klarheit, einen Anker, Konzentration, Fokus…?

 

Hilfstechnik 2: Gefühlskarten und Gefühlslisten

Mithilfe von Bildern und Wörtern, die wir uns anschauen und die wir Schritt für Schritt durchgehen, können wir uns den Gefühlen, die wir gerade empfinden, auch gut annähern.

Wir lesen die Worte auf der Liste oder schauen uns das Bild an und fragen:
„Der Gefühlsbegriff hier lautet „traurig“.
Hm. Fühle ich mich traurig? Ist es das?“

Wir gehen die Liste oder die Bilder nach und nach durch. So lassen sich eine ganze Reihe von Gefühlen ausschließen und andere Begriffe wiederum klingen in uns an.

 

Hinweis:
Wie Bedürfnisbegriffe sind auch Gefühlsbegriffe lediglich Worthülsen, mit denen wir etwas zu benennen versuchen, das in uns lebendig ist. Es gibt hier kein Richtig oder Falsch. Wir nähern uns mit dem Begriff bestmöglich unserer inneren Wahrheit an.
Und: Es gibt keine Garantie dafür, dass unser Gesprächspartner dieselbe Vorstellung von diesem Begriff hat wie wir. Es hilft, zu dem Bedürfniswort bzw. Gefühlsbegriff auch noch dazugehörige Körperempfindungen und weitere, ähnliche und ergänzende Begriffe zu benennen.

 

2. Die Wolfsshow

Unter „Wolfsshow“ verstehen wir in der Gewaltfreien Kommunikation all jene Gedanken, die eher nicht hilfreich sind, um mit anderen Menschen in eine wertschätzende Verbindung zu treten. Was wenig lebensdienlich ist, weil es uns eher von anderen Menschen trennt: Bewertungen, Urteile, Vorwürfe, Interpretationen

 

Wolfsgeheul: Bewertungen, Urteile, Vorwürfe, Interpretationen

Wir verteufeln diese Gedanken aber nicht, sondern heißen sie willkommen! Solange wir sie für uns behalten und nicht laut aussprechen, können wir „den Wolf heulen lassen“. Unsere Gedanken sagen uns nämlich ganz viel über unsere Werte und Bedürfnisse.

Hier bedienen wir uns gern folgender zwei Hilfstechniken:

 

Hilfstechnik 1: Das „Silbertablett“

Manche Bedürfnisse werden uns quasi „auf dem Silbertablett“ serviert.
Zum Beispiel, wenn sie in dem Vorwurf, dem Urteil oder der Interpretation bereits enthalten sind:

„Das ist rücksichtslos!“ => Ich sehne mich nach Rücksichtnahme.
„Das ist unfair!“ => Mir ist Fairness wichtig.
„Das ist mir zu unsicher.“ => Ich brauche Sicherheit.
„Puh ist das hier unordentlich!“ => Ich hätte gern Ordnung.

 

Oder wir nähern uns dem Bedürfnis, indem wir uns das Gegenteil der Bewertung anschauen. Denn meistens ist das Gegenteil einer Bewertung der Ausdruck des Bedürfnisses.

„Du bist ein Egoist!“
=> Ein Egoist ist jemand, der nur an sich selbst denkt.
Gegenteil: Jemand, der auch an andere denkt.
Erneute Bewertung: jemand, der auch an andere denkt, ist rücksichtsvoll
Bedürfnis: Rücksichtnahme

„Mann ist das ein Chaos hier!“
=> Chaos ist, wenn alles durcheinander liegt.
Gegenteil: alles liegt an seinem Platz
Erneute Bewertung: wenn alles an seinem Platz liegt, ist es ordentlich und klar strukturiert
Bedürfnis: Ordnung, Struktur

 

Hilfstechnik 2: „Das Wunschkonzert“ bzw. „Die Traumreise“

Bei dieser Hilfstechnik geht es darum, ein unerwünschtes Verhalten klar zu benennen und das erwünschte Verhalten zu formulieren.

„Er soll hier nicht einfach so reinplatzen!“
Erwünschtes Verhalten: vorher anklopfen.
Durch das erwünschte Verhalten „Vorher anklopfen“ erfüllt sich bei mir: Privatsphäre.

„Ich will nicht, dass mein Kind mich anlügt!“
Erwünschtes Verhalten: die Wahrheit sagen.
Durch das erwünschte Verhalten erfüllt sich bei mir: Aufrichtigkeit / Ehrlichkeit.

Wenn es um bestimmte, ganz konkrete und einzelne Handlungen geht, nenne ich diese Technik „Wunschkonzert“.

Wenn es um größere Dinge geht – die generellen Umstände, eine ganze (Lebens-)Situation – dann begebe ich mich gern auf eine „Traumreise“.
Da formuliere ich nicht nur ein konkret erwünschtes Verhalten, sondern ich male mir aus, wie ich meine Umgebung oder die Welt um mich herum insgesamt gerne hätte.

Da ist es dann nicht ein einziges Bedürfnis, um das es geht, sondern ein ganzer Blumenstrauß von Bedürfnissen. Die Traumwelt, in die ich reise, ist der Inbegriff all meiner ersehnten und erfüllten Werte und Bedürfnisse. Hier entsteht manchmal eine gaaaaaanz schön lange Liste…

 

3. Die Bedürfniszwiebel schälen

Diese Technik ist mein persönlicher Favorit.
Sie erfordert eventuell etwas Übung im Erkennen und Benennen von Bedürfnissen.

Beim Schälen der Bedürfniszwiebel geht es darum, hinter einem Bedürfnis noch weitere Bedürfnisse zu entdecken. Und dahinter dann weitere.

 

 

Von außen nach innen: eine Zwiebel besteht aus vielen Schichten…

 

Was ich an dieser Technik so liebe?
Sie führt mich, wenn ich mir die Zeit nehme, ziemlich sicher zum eigentlichen Kern meines Anliegens. Meistens ist es nicht das Offensichtliche, gut Erkennbare – die äußere Schicht der Zwiebel, um das es mir WIRKLICH geht.
Wenn ich mich mit dem erstbesten Bedürfnis, das mir in den Sinn kommt, zufrieden gebe, dann bleibt mir möglicherweise das Wesentliche verborgen und ich verarzte nur die Oberfläche. Was durchaus zu einer kurzfristigen Zufriedenheit führt; langfristig werden sich die darunterliegenden Bedürfnisse jedoch sicherlich wieder melden.

 

Wie funktioniert das Schälen der Bedürfniszwiebel?

Mit einer Frage leite ich mich (oder eine andere Person) durch den Entdeckungsprozess. Ich frage: „Was erfüllt sich für mich / dich, wenn [Bedürfnis] erfüllt ist?“ Dann führe ich quasi einen Dialog mit mir selbst. Der kann z.B. so aussehen:

„Hier herrscht ja ein heilloses Durcheinander (Gedanke => ich wende die Hilfstechnik „Silbertablett“ an). Ich glaube, ich brauche Ordnung!“
„Und was erfüllt sich für dich, wenn Ordnung erfüllt ist?“
„Wenn es hier ordentlich ist, dann kann ich hier saubermachen.“
„Und was erfüllt sich für dich, wenn Sauberkeit erfüllt ist?“
„Dann sehe ich, dass ich etwas getan habe! Dann habe ich ein sichtbares Ergebnis „produziert“.“
„Und was erfüllt sich für Dich, wenn Wirksamkeit erfüllt ist?“
„Dann bin ich zufrieden! Dann kann ich mich entspannen und auch mal abschalten.“
„Und was erfüllt sich für dich, wenn körperliche und geistige Entspannung erfüllt ist?“
„Dann kann ich mich den Dingen zuwenden, die sonst zu kurz kommen. Hobbies und so.“
„Und was erfüllt sich für dich, wenn Balance erfüllt ist?“
„Dann kann ich mein Tun richtig genießen und darin versinken.“
„Und was erfüllt sich für dich, wenn Genuss und Hingabe erfüllt sind?“
„Dann fühle ich mich frei.“

Umgangssprachlich könnte die Frage auch lauten: „Und was passiert dann? Wenn du [Bedürfnis] erreicht hast?“

Wenn sich die Antworten und Fragen erschöpfen, oder wenn ich vermute, dass es nicht nur ein Bedürfnis ist, das sich da meldet, dann kann ich auch anders fragen:

„Aha, es geht um Ordnung… ist da noch mehr?“

Möglicherweise entdecke ich dann, dass es mir beim Aufräumen nicht nur um Ordnung, sondern auch um Struktur geht. Um Klarheit. Und dann auch um innere Klarheit, weil ich besser denken kann, wenn es um mich herum klar und strukturiert ist. Dann kann ich komplexere Probleme lösen und den Alltag besser bewältigen….

Für mich ist dieser Zwiebelschälen-Prozess oft magisch, weil Bedürfnisse zutage treten können, die lange verschüttet lagen unter dem Offensichtlichen. Verborgen hinter dem „schnellen“ Selbstempathie-Erfolg, dem ich nur zu gerne nachjage, weil er kurzfristig Ergebnisse verspricht.

Aber es lohnt sich so sehr, ein bisschen tiefer zu graben….

 

Zusammenfassung

Das waren sie, unsere drei liebsten Techniken, um Bedürfnissen auf die Spur zu kommen.

Abschließend ist mir folgender Hinweis wichtig:

Das Anwenden bestimmter Techniken dient vor allem dazu, eine bestimmte Fähigkeit zu entwickeln und einzuüben.
Ziel der Gewaltfreien Kommunikation ist es jedoch schlussendlich, sich selbst und anderen mit dem Herzen zu lauschen, nicht mit dem Verstand. Es braucht, wenn wir einfühlsam mit uns selbst oder mit einem anderen Menschen verbunden sind, nicht viele Worte und auch keine Technik (mehr).
Die genannten Techniken sind deshalb nicht zu verwechseln mit und kein Ersatz für wahre Empathie.
Sie sind vielmehr ein Hilfsmittel für Momente, in denen wir Schwierigkeiten damit haben, mit uns selbst in einfühlsamen Kontakt zu kommen. Wenn wir sehr verstrickt sind in Emotionen oder in einem Gedankenkarussel festhängen. Wenn wir „verkopft“ sind.
Unserer Erfahrung nach kann das Erkennen von Bedürfnissen mithilfe von Techniken ein guter Weg sein, um wieder mit sich selbst in Kontakt zu kommen.

 

Und nun die drei Techniken nochmal im Überblick:

1. Dem Besucher lauschen
= Bedürfnisse mithilfe von Gefühlen aufspüren
Hilfstechniken für das Identifizieren von Gefühlen:
– Körperwahrnehmung
– Gefühlslisten und Gefühlsbilder

2. Die Wolfsshow
= Bedürfnisse mithilfe von Gedanken erkennen
Hilfstechniken für das Entschlüsseln von Gedanken:
– Silbertablett
– Wunschkonzert bzw. Traumreise

3. Die Bedürfniszwiebel schälen
= Bedürfnisse hinter der Bedürfniserfüllung erkennen

 


Und wie kommst du deinen Bedürfnissen auf die Spur?

Erzähl uns von deinen Erfahrungen und teile gerne deine Tipps mit uns – schreib uns einen Kommentar!

Einen Tipp  hätten wir auch noch für dich…

Möchtest du diese Techniken mal unter unserer Anleitung und unterstützt von einer Community für dich ausprobieren? Dann ist unsere kostenfreie 5-Tage-Challenge „Dein Kind sagt NEIN? Bleib cool!“ genau das richtige für dich! Hier erfährst du mehr dazu und kannst dich auch direkt anmelden.

 

 

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