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„Jetzt setz dich endlich mal hin, wir wollen alle zusammen zu Abend essen.
Wieso steht dein Stuhl so weit weg? Rück mal näher ran, sonst fallen die Krümel ja alle auf den Boden. Und hör mit dem Kippeln auf.
Kannst du bitte weniger Butter nehmen? Und der Käse reicht ja wohl für zwei Scheiben Brot!
Du, ich mag es nicht, wenn du mit deinem Fuß ständig gegen mein Stuhlbein stößt, kannst du die Beine still halten?
Oh mann, es ist laut hier, könnt ihr bitte nicht alle gleichzeitig reden? Warte, bis ich dir zuhören kann.
So, jetzt du: wie war es denn heute eigentlich in der Schule?
Aber hey: bitte nicht mit vollem Mund reden!“

Kommt dir das bekannt vor?

Also – mir schon… Vielleicht klingt es etwas überspitzt? Naja, möglicherweise kommt es nicht immer so geballt daher wie in diesem Beispiel. Aber so über den Tag verteilt…

In unserem heutigen Blogartikel liest du:

  • Was (unter anderem) problematisch ist an dieser Dauermeckerei
  • Was es mit der Lösungsstrategie „Pick Your Fight“ auf sich hat
  • Welche 3 Fragen uns helfen, eine bewusste Entscheidung für den Konflikt zu treffen

Meckerei ist problematisch

Wir Eltern meckern ganz schön oft.
(Viel häufiger übrigens, als wir unsere Wertschätzung und Anerkennung aussprechen.)

Kein Wunder, dass unsere Kinder irgendwann „Mama-taub“ oder „Papa-taub“ werden.

Lass die Eltern reden…

Eines von mehreren Problemen in diesem Zusammenhang ist:
Die Kinder können selber nicht (mehr) gut unterscheiden, was jetzt wirklich wichtig ist und was nicht. Sie schalten dann gern „auf Durchzug“. Sie vertrauen darauf, dass wir Eltern den Dingen, die uns wirklich am Herzen liegen, schon entsprechend Nachdruck verleihen werden. Bis dahin ist für sie unsere Meckerei erstmal einfach nur viel Gesabbel.

Wie wir unserem Thema dann Nachdruck verleihen? Meistens über den Lautstärkeregler unserer Stimme. Und den Tonfall. Die Wortwahl und unsere Körperhaltung.

Was wir wollen ist die Aufmerksamkeit unseres Kindes.

Was wir ernten ist eine angespannte und gereizte Grundstimmung.

In einer Situation, in der wir gern hätten, dass unser Kind kooperiert.

Ein feiner Nährboden für Familienkonflikte.

Zu viel verlangt

Ein anderes Problem im Zusammenhang mit häufiger Meckerei: wir überfordern unser Kind.

Wir verlangen eine Vielzahl von Verhaltensänderungen. Wollen, dass es sich unseren Erwartungen anpasst. Wünschen uns Verständnis und Einsicht. Und natürlich nachhaltigen Fortschritt: wann endlich hat das Kind begriffen, dass es grundsätzlich NIE mit vollem Mund reden soll? Und Stuhlkippeln IMMER gefährlich ist?

Wir zapfen damit unermüdlich den Kooperationstank unseres Kindes an (und wundern uns dann abends, warum einfach nix mehr geht).

Eine mögliche Lösungsstrategie hierfür lautet: Pick Your Fight.

Geh nicht in jeden Kampf. Kritisiere nicht jede kritisierungswürdige Verhaltensweise. Fang nicht jeden Ball auf, den dein Kind dir zuwirft.

Sondern triff eine Auswahl. Pick dir einige Themen heraus (am besten nicht zu viele auf einmal). Entscheide bewusst, welcher Konflikt es Dir wert ist, und dann bleib dran. Mit Nachdruck und Durchhaltevermögen und deiner gesamten Aufmerksamkeit. Beharrlich statt fordernd.

Wenn du jetzt sagst: ja, okay, das will ich versuchen, und dich fragst: Woher weiß ich, wann ich welche Bälle fangen soll – dann schau mal, ob dir unsere drei Entscheidungsfragen weiterhelfen:

  • Frage 1: Ist dieses Thema jetzt gerade einen Streit wert?
  • Frage 2: Wie groß sind jetzt gerade meine Erfolgschancen?
  • Frage 3: Bin ich jetzt gerade bereit, die Folgen meines Handelns zu tragen?

Du merkst schon: die Formulierung „jetzt gerade“ ist an dieser Stelle wichtig…

Bevor wir uns die drei Fragen genauer anschauen, noch eine wichtige Anmerkung:
Es geht hier nicht darum, ein Thema komplett zu ignorieren, oder dir selbst Gewalt anzutun, indem du deine Bedürfnisse dauerhaft unterdrückst!
Es geht lediglich um die Frage: willst du jetzt gerade das Verhalten kommentieren und deinen Unmut äußern, willst du jetzt einen Konflikt riskieren? Oder hat es noch Zeit und kann geparkt werden für einen späteren Zeitpunkt?

Die drei Entscheidungsfragen

Also. Wann immer dir nach Meckern zumute ist, halte kurz inne und stell dir die folgenden drei Fragen (am besten in der hier dargestellten Reihenfolge).

Frage 1: Ist dieses Thema jetzt gerade einen Streit wert?

Anders gefragt: Ist mir dieses Thema jetzt gerade wirklich und grundsätzlich wichtig?

Geht es um Sicherheit? Körperliche Unversehrtheit, Schutz von Eigentum u.ä.?
Dann lautet deine Antwort vermutlich „ja“. Hier schreitest du ein und wendest deine Macht zum Schutze der genannten Bedürfnisse ein. Beschützende Anwendung von Macht ist aber nicht dasselbe wie „den Ball fangen“. Ich kann schützen, ohne in den Konflikt zu gehen und das Thema klären oder lösen zu wollen.

Geht es um Werte und Überzeugungen, erzieherische Prinzipien, Normen und gesellschaftliche Konventionen?
Dann ist deine eigene Not vermutlich jetzt gerade akut, das Thema selbst jedoch möglicherweise ein „Dauerbrenner“. So schmerzhaft sich das in dem Moment für dich auch anfühlen mag: wenn hier gerade kein größerer Schaden entsteht, dann kann ein klärendes Gespräch auch später noch stattfinden.
Wenn du diesbezüglich unsicher bist und es doch gern ansprechen würdest, geh weiter zu Frage 2.

Oder geht es vielleicht um das Wohlbefinden anderer Personen jetzt in diesem Moment? Nicht nur du bist genervt, gereizt oder getriggert, sondern auch andere haben ein Problem mit dem Verhalten es Kindes? Dann schau mal genauer hin: signalisieren diese Anderen das auch deutlich? Musst du hier wirklich einschreiten oder können die Anderen gut für sich selber sorgen? Gibt es vielleicht noch andere Möglichkeiten, die Lage zu entschärfen, als mit dem Kind einen Kampf zu riskieren?

Wenn du hier gern etwas sagen möchtest – geh weiter zu Frage 2.

Frage 2: Wie groß sind jetzt gerade meine Erfolgschancen?

Nach Beantwortung der ersten Frage hast Du den Impuls, in den Ring zu steigen und Dein Anliegen anzusprechen? Dann frage Dich vorher noch:

Habe ich Kontakt zum Kind?
Du wirst nur dann etwas erreichen, wenn das Kind dir zuhört. Also brauchst du zunächst einmal Kontakt zu ihm. Seine volle Aufmerksamkeit. Es darf nicht abgelenkt sein. Also ist es dein Job, zunächst Verbindung herzustellen.

Bin ich selbst gerade in der Lage, Verbindung zum Kind herzustellen?
Damit ist nicht nur gemeint: „Schaffe ich es, die Aufmerksamkeit des Kindes zu bekommen?“
Damit ist auch gemeint: „Kann ich mich auf mein Kind einlassen, kann auch ich mich mit meiner vollen Aufmerksamkeit dem Kind zuwenden?“
Wenn du wütend bist, voller Vorwürfe, genervt und außerdem auch noch an anderer Stelle gefordert (z.B. von den Geschwistern oder dem Haushalt), dann sind die Aussichten schlecht.

Kann mein Kind noch kooperieren?
Angenommen, ihr schafft es, miteinander in Kontakt zu kommen. Und dein Kind hört dir zu. Dann braucht es, um erfolgreich mit deinem Anliegen zu sein, zuletzt noch die Bereitschaft des Kindes zu tun, was du von ihm möchtest (oder zu unterlassen, was dich gerade stört).

Wie voll ist der Kooperationstank des Kindes?
Je voller, desto größer deine Erfolgsaussichten…

Wenn du an dem Punkt bist, wo du denkst, dass du Kontakt herstellen kannst und das Kind deiner Einschätzung nach noch genügend Kooperationsbereitschaft hat, dann geh über zu Frage 3.

(Falls nein, dann schweig. Vertage das Thema und versorge dich mit Empathie).

Frage 3: Bin ich jetzt gerade bereit, die Folgen meines Handelns zu tragen?

In den seltensten Fällen denken wir bei all den kleinen und großen Meckereien des Alltags darüber nach, wie sich das auswirkt:

  • Was kann oder wird passieren, wenn ich das Thema jetzt anspreche?
  • Und was, wenn ich das Thema NICHT anspreche (auch das hat ja Folgen!)?
  • Welche Auswirkungen wird das ggf. auch auf den weiteren Tagesverlauf haben?
  • Und bin ich bereit, die Konsequenzen zu tragen? Kann ich das bedienen? Habe ich Ressourcen?

Wir dürfen hier ehrlich zu uns sein. Und stets gut für uns sorgen.
Wir können den Ball auch mal an uns vorüberfliegen lassen…

Fazit

  • Je seltener wir in akuten Situationen entscheiden, „den Ball zu fangen“ und einen Konflikt zu riskieren, umso eindrücklicher ist es für das Kind und desto höher die Wahrscheinlichkeit, gehört zu werden.
  • Je seltener wir einen Konflikt eröffnen, desto mehr Kraft und Ressourcen haben wir dann, die für uns wirklich wichtigen Konflikte wertschätzend und beharrlich, liebevoll und nachdrücklich zu klären und zu lösen.
  • Je bewusster wir die Entscheidung treffen, unser Anliegen darzustellen, desto klarer werden wir formulieren. Das spürt unser Kind.
  • Und je klarer ich für mich habe, aus welchem guten Grund ich auch mal NICHT in den Konflikt gehe, desto friedlicher bin ich mit mir selbst. Das erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass ich wieder in Verbindung mit mir selbst und mit dem Kind komme. Was wiederum die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass sich Lösungen von ganz allein ergeben…

Für mich persönlich kann ich sagen: die meisten Nörgeleien, Meckereien und Schimpfereien haben bei mir den Ursprung in einer ohnehin schon angespannten Grundstimmung, in leeren Bedürfnistanks und fehlender Verbindung. Nachhaltige und gute (=bedürfniserfüllende) Lösungen finde ich in der Regel mit meinen Kindern und meinem Partner nur, wenn wir in einer friedvollen Grundstimmung und genährter Bedürfnislage sind:

Am Wochenende.
Abends beim Feiern und Bedauern.
Bei der Familienkonferenz.
Kuschelnd auf dem Sofa.

Und wann ist deine liebste Zeit, um die wirklich wichtigen Themen anzugehen?

Wie entscheidest du, welche Konflikte du in akuten Situationen riskierst und welche Bälle du an dir vorbeifliegen lässt? Wie gelingt dir das?

Erzähl uns von deinen Erfahrungen und stell uns gern auch deine Fragen hier in den Kommentaren.

P.S.: Hier noch einmal die drei Fragen im Überblick

Frage 1: Ist dieses Thema jetzt gerade einen Streit wert?
– Geht es um Sicherheit?
– Geht es um Werte, Normen und Prinzipien?
– Geht es um das Wohlbefinden Anderer?

Frage 2: Wie groß sind jetzt gerade meine Erfolgschancen?
Habe ich Kontakt zum Kind?
– Bin ich selbst gerade in der Lage, Verbindung zum Kind herzustellen?
– Kann mein Kind noch kooperieren?

Frage 3: Bin ich jetzt gerade bereit, die Folgen meines Handelns zu tragen?
– Was kann passieren, wenn ich jetzt in den Ring steige?
– Was kann passieren, wenn ich den Ball vorüberfliegen lasse?
– Kann ich die Folgen meines Handelns tragen?

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