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Jetzt steigen wir so richtig in die Praxis ein – idealerweise kommt beim Lesen so langsam ein aufregendes Kribbeln auf, ein Gespür dafür, was das denn sein könnte, diese Sache mit der Selbstempathie…

Schauen wir zunächst auf das erste Etappenziel: innere Klarheit. Wie erlange ich innere Klarheit? Wie finde ich heraus, worum es mir eigentlich geht?
Ich schlage – um nicht gleich ein ganzes Wochenendseminar in einen Blog-Artikel zu pressen – zwei praktische (gleichzeitig vereinfachte) Ansätze vor.

Der erste Ansatz – Gefühle in Bedürfnisse übersetzen – eignet sich für Menschen, die leicht oder schon recht gut mit ihren Gefühlen in Kontakt kommen.
Der zweite Ansatz – Mithilfe der Gedanken den Bedürfnissen auf die Spur kommen – fällt denjenigen Menschen leichter, die wie ich eher „verkopft“ sind und denen es (noch) schwer fällt, mit Gefühlen in Kontakt zu kommen.

Erster Ansatz: Gefühle in Bedürfnisse übersetzen

Wenn Ihr bereits gut mit Euren Gefühlen verbunden seid, also wenn Ihr recht klar habt, was Ihr gerade fühlt, dann könnt Ihr diesen Ansatz ausprobieren. Wenn Ihr noch sehr in Eure Gedanken verstrickt seid oder, wie ich, zu den eher verkopften Menschen gehört, dann empfehle ich den zweiten Ansatz – diesen stellen wir Euch morgen vor.

Schritt 1: Zurückziehen

Ihr seid in einer herausfordernden Situation? Zunächst wäre es hilfreich, Euch für einen Moment aus der Situation herauszuziehen. Ihr könnt:

  • die Augen schließen und tief durchatmen
  • den Raum verlassen und Euch äußerlich zurückziehen
  • Euch einfach mal umdrehen und innerlich zurückziehen
  • aufs Klo gehen…

Was auch immer gerade passt und möglich ist.

Schritt 2: Fühlen.

Habt Ihr etwas Abstand? Dann fühlt in Euch hinein. Wo im Körper spürt Ihr gerade was genau? Versucht, intensiv wahrzunehmen, was in Euch gerade los ist. Dann versucht, es in Worten zu beschreiben – führt ein Selbstgespräch. Scannt Euren Körper, stellt Euch hilfreiche Fragen.

  • Ist mir heiß oder kalt?
  • Ist mir in der Brust eng oder weit?
  • Fühlt sich die Kehle an „wie zugeschnürt“?
  • Wie geht mein Puls? Mein Herzschlag?
  • Kribbelt die Kopfhaut?
  • Habe ich ein heißes (errötetes) Gesicht? Bin ich blass? Kreidebleich?
  • Bin ich ganz zittrig? Äußerlich oder innerlich?
  • Wie würde ich meinen jetzigen Zustand ausführlich beschreiben?

Ich bin absolut keine Expertin für Körperarbeit und habe damit nur sehr wenig Erfahrung. Ich weiß, dass es für das bewusste Wahrnehmen von Körperempfindungen ganz viele verschiedene hilfreiche Techniken gibt. Yoga zum Beispiel. Improtheater. Kontakttanz. Clown- und Pantomime-Techniken. Wer kennt sich hiermit besser aus? Vielleicht mögt Ihr in den Kommentaren etwas dazu mit uns teilen?

Manchmal frage ich meine Kinder, was sie gerade bei mir sehen oder wahrnehmen. Sie können sehr genau beschreiben, ob ich ein errötetes Gesicht habe, ob ich mich gerade „groß gemacht“ habe, ob ich mit lauter Stimme gesprochen oder mit dem Fuß aufgestampft habe.

Was für mich persönlich bisher ganz gut funktioniert, und die Körperempfindungen wahrnehmen und beschreiben zu können, ist, diese auf übertriebene Art pantomimisch auszudrücken. Fühle ich ein leichtes Zittern, dann stelle ich es verstärkt dar. Bemerke ich an mir hektische oder ruckartige Bewegungen, dann stelle ich diese übertrieben dar. Und dann bitte ich jemanden, der mir Gegenüber steht, zu beschreiben, was er oder sie an mir beobachtet.

Das mache ich übrigens auch total gern mit meinen Kindern. Ich frage sie manchmal einfach, was sie gerade bei mir sehen bzw. wahrnehmen. Sie können sehr genau beschreiben, ob ich ein errötetes Gesicht habe, ob ich mich gerade „groß gemacht“ habe, ob ich mit lauter Stimme gesprochen oder mit dem Fuß aufgestampft habe. Das ist ein hilfreicher Angang für mich. Und meine Kinder lernen auf diese Art, auch bei sich selber mal zu schauen und zu beschreiben, was bei ihnen so los ist.

Bringt uns ziemlich oft in eine schöne Verbindung.

Schritt 3: Worte finden

Es ist nicht immer nötig – und auch nicht immer förderlich – die Gefühle in Worte zu fassen.
Wenn wir Gefühle versuchen, in Worte zu fassen, wird, vereinfacht gesagt, die linke Gehirnhälfte aktiviert. Dann verlassen wir „den Bauch“ und „rutschen wieder in den Kopf“ – wir fühlen nicht mehr, sondern denken. Das ist gerade für verkopfte Menschen wie mich unglaublich verlockend – der Schatz liegt jedoch im Fühlen, nicht im Denken. Gleichzeitig braucht es oft Worte und die Aktivierung kognitiver Denkprozesse, um dann auch passende Bedürfnisse zu finden und zu benennen. Übung macht hier wie so oft den Meister.

Wenn wir unsere körperlichen Empfindungen in Gefühle übersetzen und diese in Worte fassen wollen, ist es hilfreich, einen möglichst umfassenden Gefühlswortschatz zu haben. Wie man diesen aufbauen kann, beschreibe ich demnächst in einem anderen Artikel.

Hier mal einige Beispiele für Körperempfindungen und das Ableiten möglicher Gefühlsbegriffe:

  • Ich habe ein Engegefühl in der Brust. => Ich bin unter Druck.
  • Mir wird die Kehle eng und mein Atem geht flach. => Ich habe Angst.
  • Mein Puls geht schneller. => Ich bin aufgeregt.
  • Mir fallen die Augen zu. => Ich bin müde.
  • Mir zittern die Hände. => Ich bin nervös.
  • Ich habe „Schmetterlinge im Bauch“. => Ich habe Lampenfieber.
  • Mir hüpft das Herz. => Ich freue mich.
  • Ich atme tief. => Ich bin entspannt.
  • Ich spüre Weite in meiner Brust. => Ich fühle mich sicher.
  • Mein ganzer Körper ist entspannt und warm. => Ich fühle mich geborgen.
  • Mein Magen zieht und mir ist heiß. => Ich bin wütend.

Das bewusste Wahrnehmen (und Benennen) von Körperempfindungen, braucht eventuell etwas Übung. Das können wir zum Glück nicht nur in herausfordernden Situationen, sondern immer und überall machen. Je häufiger wir diese Fähigkeit des Wahrnehmens, Fühlens und in Wortefassens trainieren, desto schneller geht es, wenn es dann wirklich mal drauf ankommt.

An dieser Stelle möchte ich kurz darauf hinweisen, dass wir in unserem alltäglichen Sprachgebrauch oft Begriffe und Formulierungen verwenden, die keine „echten“ Gefühle ausdrücken. Dem Thema „Gefühle“ wird ein eigener Blog-Artikel gewidmet sein.

Schritt 4: Gefühle in Bedürfnisse übersetzen

Zwei Grundannahmen der Gewaltfreien Kommunikation besagen:
Gefühle sind Hinweisgeber auf Bedürfnisse.
Angenehme Gefühle deuten auf erfüllte, unangenehme Gefühle auf unerfüllte Bedürfnisse hin.

Nehmen wir also nun die oben genannten Beispiele. Ich versuche, mit ihrer Hilfe zu veranschaulichen, wie wir die möglicherweise dahinter liegenden Bedürfnisse ableiten können:

  • Ich habe ein Engegefühl in der Brust. => Ich habe Druck.
    Ich fühle Enge? Unangenehm. Ich sehne mich nach… Weite? Raum? Freiheit?
    Ich habe Druck? Unangenehm. Ich brauche… Entspannung? Entlastung? Leichtigkeit?
  • Mir wird die Kehle eng und mein Atem geht flach. => Ich habe Angst.
    Mein Atem geht flach? Unangenehm. Ich brauche…. Luft? Einmal tief durchatmen = Klarheit?
    Ich habe Angst? Unangenehm. Ich brauche… Sicherheit? Schutz? Klarheit?
  • Mein Puls geht schneller. => Ich bin aufgeregt.
    Aufgeregt – und angenehm? Dann erfüllt sich für mich gerade ein Bedürfnis nach… Herausforderung? Abenteuer? Wachstum, Entwicklung? Abwechslung?
    Aufgeregt – und unangenehm? Dann habe ich gerade ein Bedürfnis nach… Klarheit? Ruhe?

Und so könnten wir es fortführen. Vielleicht wollt Ihr es in den Kommentaren ja mal mit eigenen Beispielen versuchen?

Bei vielen Gefühlsbegriffen steckt das Bedürfnis übrigens schon im Wort:
Ich fühle mich sicher. => Sicherheit
Ich fühle mich geborgen. => Geborgenheit.
Mir ist warm, mir ist kalt. => Wärme.

Wenn uns das noch nicht ausreicht, können wir tiefer graben. Hierbei helfen folgende Fragen:

  • Ist da noch mehr?
  • Wenn sich …. für mich erfüllt, was erfüllt sich dann außerdem noch?
  • Für welche anderen Bedürfnisse ist dieses Bedürfnis stellvertretend / ergänzend?

Beispiel: Mir ist warm. Erfülltes Bedürfnis: Wärme.
Wofür steht Wärme noch? Für körperliches Wohlbefinden, Entspannung, Geborgenheit. Geborgenheit steht auch für Sicherheit. Für Verbindung. Ruhe.

In dieser Form können wir unsere „Bedürfniszwiebel“ Schicht für Schicht schälen und tiefer dringen und immer mehr innere Klarheit erlangen.

Das ist für mich persönlich das größte Geschenk der Gewaltfreien Kommunikation.

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