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Bedürfnisse sind für uns so etwas wie die „Schatzkammer“ der Gewaltfreien Kommunikation. Daher haben wir uns ihnen auch in den vergangenen Wochen intensiv gewidmet. Warum es manchmal gar nicht so leicht ist, unseren Bedürfnissen auf die Schliche zu kommen und was das alles mit Gefühlen zu tun hat, liest du in diesem Text.

Vier Schritte zum Glück

Bedürfnisse sind die dritte Komponente des 4-Schritte-Modells der Gewaltfreien Kommunikation. Sie drücken aus, was ich brauche. Und wenn ich das erkenne, dann kann ich gut für mich sorgen. Bei dieser doch recht herausfordernden Aufgabe – dem Erkennen der eigenen Bedürfnisse – helfen uns unsere Gefühle. Nicht umsonst sind „Gefühle“ die zweite Komponente des 4-Schritte-Modells.

Gefühle – so eine Grundannahme der GFK – deuten auf unsere Bedürfnisse hin: unangenehme Gefühle auf unerfüllte Bedürfnisse, angenehme Gefühle auf erfüllte Bedürfnisse. So logisch und einfach das auf den ersten Blick auch klingt: sich selbst zu spüren und zu fühlen ist eine Fähigkeit, die viele Menschen verlernt haben.

Wie geht es dir? Wie fühlst du dich?

Menschen, die von ihren eigenen Gefühlen „abgeschnitten“ sind, tendieren zu den folgenden Antworten:

„Ich habe das Gefühl, dass…“
„Ich habe das Gefühl, du/ich…“
„Ich fühle mich wie…“ oder „Ich fühle mich“ – und dann folgt ein Verb (in der passiven Form) oder ein Adjektiv

Hier haben wir schon einmal ausführlicher darüber geschrieben. Was auf diese Formulierungen folgt, ist kein wahrhaftiges Gefühl. Was dann folgt, sind Gedanken. Oft sind es gewaltvolle Gedanken. Das „echte“ Gefühl, das dann am ehesten gefühlt und benannt wird, ist: Ärger.

„Unechte“ Gefühle

Diese Formulierungen, die „so tun als wären sie ein Gefühl“ haben in der Gewaltfreien Kommunikation keine eindeutige Bezeichnung. In der Literatur werden sie unter anderem „Pseudogefühl“, „Denkgefühl“ oder „Täter-Gefühl“ genannt.

Zur Veranschaulichung hier einige Beispiele:

„Ich habe das Gefühl, du magst mich nicht.“
„Ich fühle mich wie vom Zug überrollt.“
„Ich fühle mich im Stich gelassen.“
„Ich habe das Gefühl, dass du weg willst.“
„Ich fühle mich vernachlässigt.“
„Ich habe das Gefühl, du verschweigst mir etwas.“
„Ich fühle mich ausgenutzt.“
„Ich fühle mich gewertschätzt.“
„Ich fühle mich beachtet.“
„Ich fühle mich respektiert.“

In all diesen Fällen werden als Gefühl getarnte Gedanken geäußert. Um genauer zu sein: Gedanken über das Verhalten einer anderen Person. Und je nachdem, was ich über das Verhalten einer anderen Person denke, empfinde ich eher angenehme oder eher unangenehme Gefühle.

Wie ich denke, so fühle ich.

Ins Fühlen kommen

Wenn ich mich unwohl fühle (und mir ein „Pseudogefühl“ in den Sinn kommt), dann ist es für mich sehr hilfreich, mich selbst beim Denken zu beobachten. Idealerweise schreibe ich meine Gedanken auf einen Zettel. Ich lausche meinem „Wolfsgeheul“ aufmerksam, damit ich später die dahinter liegenden Bedürfnisse finden kann.

Ich nehme mir dann zum Beispiel eines der „Pseudogefühle“ vor und „spüre hinein“: Wie fühle ich mich, wenn ich denke, der andere…?

Ich denke den Gedanken, erinnere die dazu passende Situation, tauche ein in diese Erinnerung und spüre, was in meinem Körper passiert.

person holding water
Foto: Josh Hild/Pexels.com

Zwei Beispiele – und wie du umformulieren kannst

Beispiel 1: Ich fühle mich im Stich gelassen

Wenn ich denke, dass mich jemand im Stich gelassen hat, und ich kehre in meiner Erinnerung zurück in diese Situation, dann merke ich, dass zunächst wieder der alte Groll und Ärger in mir aufsteigen. Ich löse mich von dem Ärger und schaue, welche Empfindungen darunter verborgen sind. Und dann merke ich, dass ich mich tatsächlich allein und hilflos gefühlt habe. Ich war traurig und unsicher. Verwirrt.

Je länger ich in der Erinnerung verweile, desto mehr Gefühle werde ich spüren (sofern es mir gelingt, den immer wiederkehrenden Ärger kommen und gehen zu lassen).

Beispiel 2: Ich fühle mich respektiert

Wenn ich denke, ich werde respektiert, und ich kehre in meiner Erinnerung zurück in eine konkrete, dazu passende Situation, dann merke ich, wie zunächst Genugtuung in mir aufsteigt. Ich verbleibe in der Erinnerung und versuche, zu fühlen. Ich spüre, wie ich mich allmählich aufrichte, wie ich satt mit beiden Füßen auf dem Boden stehe. Ich bin stabil. Dann entspanne ich mich zunehmend; nun fühle ich mich sicher, meine Muskeln entspannen sich, ich fühle mich friedlich und es ist mir angenehm warm.

Gedanken sind keine Fakten

In der Gewaltfreien Kommunikation legen wir Wert darauf, Fakten und Interpretationen klar voneinander zu trennen. Daher haben wir ein paar Tipps für dich, wie du Pseudogefühle umformulieren kannst:

Statt…Sag lieber…
Ich habe das Gefühl, dass…Ich habe den Eindruck, dass…
In bin der Meinung, dass…
Ich fühle, dass…Ich denke, dass…
Ich finde, dass…
Ich erzähle mir gerade die Geschichte, dass…
Ich fühle mich… [Verb in der Passivform]Wenn ich denke, der andere hat mich…, dann fühle ich mich [„echtes“ Gefühl]
Ich fühle mich / Ich bin… [Adjektiv]Wenn ich denke, ich sei…, dann fühle ich mich [„echtes“ Gefühl]
Vorschläge zur Umformulierung von Pseudogefühlen

Wenn ich fühle, dann verstehe ich

Wozu ist es hilfreich, diese Pseudogefühle zu übersetzen in echte Gefühle?
Weshalb ist es wertvoll, ins Fühlen zu kommen?

ERSTENS werden Pseudogefühle, wenn wir sie anderen gegenüber aussprechen, meist als Vorwurf gehört. Hier wird es schwer, zum Gegenüber eine wertschätzende Verbindung aufzubauen.

ZWEITENS gebe ich sprachlich unbewusst jemand anderem die Verantwortung für meine Gefühle und verliere dadurch meine Selbstwirksamkeit. Ich fühle mich dann schnell ohnmächtig, denn ich mache mein Wohlbefinden von einer anderen Person abhängig.

DRITTENS sind Gefühle der effektivste Weg zu den Bedürfnissen. Diese zeigen, was ich brauche, und dann bin ich handlungsfähig und kann für mich selbst sorgen und die Verantwortung übernehmen. Denn die Erfüllung der Bedürfnisse sind nicht von einer bestimmten Person abhängig.

Gefühle helfen uns zu verstehen.
Dann können wir handeln.

Bedürfnisse erkennen kannst du lernen – mit uns!

Weil es den meisten Menschen anfangs schwer fällt, ins Fühlen zu kommen, haben wir einen Selbstlernkurs entwickelt, der auch die eher „kopflastigen“ Menschen unter uns anspricht. Denn es gibt durchaus Techniken, mithilfe derer man systematisch den eigenen Bedürfnissen auf die Schliche kommt.

Im Kern des Selbstlernkurses steht ein Workbook mit zahlreichen Anleitungen, Beispielen, Übungen und Hilfsmitteln.

Begleitend dazu moderieren wir eine geschlossene Facebook-Gruppe, in der sich die Teilnehmenden austauschen und uns Fragen stellen können. Es wird auch mehrere spontane Zoom-Videokonferenzen geben, in denen wir Fragen beantworten und Raum für das gemeinsame Üben anbieten werden.

Neugierig?

Hier gibt es weitere Informationen:

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