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Erziehen ohne Macht und Strafen? Klingt gut, oder? Doch wie kann das in der Praxis gelingen? Wie schaffe ich es, Konflikte effektiver zu lösen oder sie gar nicht erst entstehen zu lassen? Birthe hat darüber mit Cordula Meier gesprochen. Sie bietet ab dem 30. Oktober wieder ein Familientraining nach Thomas Gordon an.

Inhalt

Die Grundlage für deine Elterntrainings ist das Buch „Familienkonferenz“ von Thomas Gordon (erschienen 1970) und das von Gordon entwickelte Parent effectiveness training. Warum ist beides immer noch aktuell?

CORDULA MEIER: Ich sehe das so:  So lange wir mit anderen Menschen zusammenleben, bleibt Gordon aktuell. Denn es geht bei ihm vor allem um gute Beziehungen. Egal ob im Jahr 1970 oder 2020, das bleibt relevant. Zudem bestätigt eine Studie der Konrad Adenauer Stiftung von 2018: Das Gordon-Elterntraining ist bislang das einzige Training, dass bei Eltern zu einer nachhaltigen Veränderung führt. Und damit zu einer glücklicheren Eltern-Kind-Beziehung beiträgt.

Wenn ich einen Blick auf das Angebot von anderen Elternkursen werfe, dann finde ich immer auch die zugrundeliegenden Prinzipien aus Psychologie, Pädagogik und Kommunikation, die auf dem Gordon-Modell beruhen.

Worin liegt der größte Wert dieses Modells?

CORDULA MEIER: Meines Erachtens ist es die Grundlage für alle Eltern, mit Problemen oder Streitigkeiten innerhalb der Familie anders umzugehen. Seien es Schulprobleme, Geschwisterstreitigkeiten, Medienkonsum oder andere Themen. Die Eltern bekommen durch die aufeinander folgenden Inhalte des Kurses eine Brille aufgesetzt, durch die sie sich selbst und das Kind genauer betrachten können.

In den seltensten Fällen tun unsere Kinder etwas, um uns zu ärgern.

Cordula Meier

Weit verbreitet ist etwa folgende Ansicht: Es gibt immer wieder Konflikte, weil mein Kind so und so ist. Das wäre allerdings zu kurz gegriffen, da das Verhalten des Kindes immer in Abhängigkeit zum elterlichen Verhalten steht. Zudem steckt hinter jedem Verhalten des Kindes ein Wunsch oder Bedürfnis. Das Kind wackelt und zappelt zum Beispiel nicht auf seinem Stuhl, weil es unhöflich ist oder mich ärgern will. Sondern weil es gerade ein großes Bedürfnis nach Bewegung hat. In den seltensten Fällen tun unsere Kinder etwas, um uns zu ärgern.

Oftmals sind Eltern-Kind-Beziehungen ja so richtig festgefahren, alle stecken miteinander in einer Sackgasse, aus der sie nicht mehr herauskommen. Wie war das damals bei dir?

CORDULA MEIER: Ich hatte mit meinem Sohn damals eine ziemliche Odyssee hinter mir: Psychologen, Therapeuten, Kinderärzte, Ratgeber. Dabei stieß ich immer auf den gleichen Tenor: Ich sollte strenger werden, mehr Grenzen setzen. Ich hatte schon für mich das Gefühl, dass ich sehr viele Grenzen gesetzt habe, dennoch habe ich mehr Druck aufgebaut. Ich fand auch keine Alternativen. Doch nichts wurde besser, ganz im Gegenteil. Mein Sohn wurde immer aggressiver, zeigte uns Eltern gegenüber immer mehr Widerstand. Er hatte tägliche Schrei- und Wutattacken. Alle haben darunter gelitten. Ich merkte, wie ich selbst immer härter wurde. Ich konnte ihn phasenweise nicht mehr in den Arm nehmen. Wir waren als Familie in einen negativen Sumpf geraten. Und ich wusste: Das muss jetzt aufhören.

Das klingt nach einer schmerzhaften Erfahrung für euch alle… Und dann kam Thomas Gordon ins Spiel?

CORDULA MEIER: Ja, zum Glück! Zufällig bin ich auf den Flyer für ein Elterntraining nach Thomas Gordon gestoßen. Mein Sohn war da am Anfang seiner Grundschulzeit. Ich habe vor allem den Titel behalten: „Erziehen ohne Macht und Strafen“. Ich dachte mir: Einen Versuch ist es allemal wert. Ich hatte nichts zu verlieren….

Und? Wie lief es?

CORDULA MEIER: Der Kurs hat mich von Anfang an fasziniert. Und ich stand nicht alleine da mit meinen Erziehungsproblemen! Parallel zum Kurs haben wir das Buch gelesen – das ist übrigens auch noch heute so im Kurs.  Ich habe es regelrecht aufgesaugt und fand es brillant geschrieben. Ich spürte: Hier geht es nicht nach Muster A oder B. Sondern Gordon schildert ohne Vorwürfe an die Eltern das Dilemma, in das man so schnell reingeraten kann. Wie Dinge ganz schnell für beide Seiten verletzend und beschämend, also absolut nicht wertschätzend, laufen können.

Cordula Meier ist Gordon-Familientrainerin und Sprachtherapeutin.

War das auch dein größtes Aha-Erlebnis?

CORDULA MEIER: Ich glaube das größte Aha-Erlebnis war tatsächlich, dass ich in kleinen Schritten gelernt habe, die Gefühlsausbrüche meines Sohnes nicht mit heftigen Gefühlsausbrüchen meinerseits oder Vorwürfen auszubremsen. Sondern ruhig zu bleiben. Dabei geholfen hat mir die Frage des Problembesitzes. Ich habe erkannt: Mein Sohn hat gerade ein Problem, und nicht ich. Ich lernte, dass seine starken Gefühlsausbrüche nicht mir galten, sondern Reaktionen waren auf ein Problem, mit dem er nicht fertig wurde. Ich musste sie ihm nicht mehr verbieten oder diese durch mein eigenes Verhalten noch steigern. Es war wie eine Art „Schalter“, den ich immer besser in solchen Situationen umlegen konnte.

Hast du da ein Beispiel vor Augen?

CORDULA MEIER: Ich erinnere mich an verschiedene Szenen. Nach der Schule schmiss mein Sohn seinen Tornister  neben das Auto. Am Abend zuvor hatten wir im Kurs über das „Aktive Zuhören“ gesprochen. Normalerweise hätte ich geschimpft, vielleicht sogar geschrien: Was machst du denn da? Bist du verrückt? Oder so etwas in der Art…Doch dieses Mal habe ich anders reagiert. Ich sagte: „Ach Mensch, du bist wirklich richtig wütend! In der Schule muss heute echt etwas Doofes passiert sein, dass du deinen Tornister so auf den Boden wirfst.“

Ich habe nur zugehört – und er hat sich getraut, mir davon zu erzählen.

Cordula Meier über das „Aktive Zuhören“

Mein Sohn sah mich erstaunt an, da er diese Reaktion von mir nicht kannte. Im Auto kam dann die Traurigkeit zum Vorschein, die sich hinter der Wut versteckt hatte. Er erzählte mir von einer für ihn sehr unangenehmen und peinlichen Situation in der Klasse. Ich habe nur zugehört – und er hat sich getraut, mir davon zu erzählen.

Das Zuhören lernen nimmt ja einen großen Teil des Kurses ein…

CORDULA MEIER: Ja, wirkliches Zuhören ist eine große Kunst. Sie gelingt mir heute oft, aber lange noch nicht immer. Das zu akzeptieren ist ebenfalls wichtig. Denn im Grunde ist das ja wiederum eng verknüpft mit der Frage des Problembesitzes.

Weil es sein könnte, dass du im Beispiel mit dem Tornister, doch das Problem besitzt? Nämlich, dass du nicht möchtest, dass Wertgegenstände kaputt gehen?

CORDULA MEIER: Meines Erachtens nach, ist das ein Abwägen dessen, was mir wichtig ist. Stell‘ dir doch mal folgende Situation vor: Dir ist soeben dein Portemonnaie gestohlen worden. Nun bist du darüber so aufgebracht, dass du deine Handtasche auf den Boden knallst. Dein Mann sagt zu dir: Hey Schatz, bist du verrückt? Deine schöne Tasche, die ich dir zu Weihnachten geschenkt habe! – Würde dich das beruhigen? Oder eher noch wütender machen? Ich wette, deine Tasche hat für dich in diesem emotional aufgebrachten Zustand keinerlei Bedeutung.

Kinder sind noch unreif, so wie Früchte. Ganz zart und mit sehr dünner Haut. Sie schäumen über vor Glück und sie schäumen über vor Wut.

Cordula Meier

Du meinst also, in dem Moment hat es ohnehin keinen Sinn, das Kind „erziehen“ zu wollen, um zum Beispiel mit dem Tornister zurückzukommen?

CORDULA MEIER: Genau! Kinder sind emotional reagierende Wesen. Sie sind noch unreif, so wie Früchte. Ganz zart und mit sehr dünner Haut. Sie schäumen über vor Glück und sie schäumen über vor Wut. In dem Moment hat mein Sohn ganz sicher nicht an seinen Tornister gedacht. Sondern an sein Problem. Und er möchte gerne damit gehört und gesehen werden.

Gleichzeitig möchte ich auch meine persönlichen Grenzen aufzeigen und meine Bedürfnisse benennen. Vielleicht geht es mir bei einem Wutausbruch auch um die körperliche Unversehrtheit eines anderen Kindes.

CORDULA MEIER: Ja, da liegt es in unserer elterlichen Verantwortung, das Kind zu stoppen. Vielleicht mit einer eindeutigen Geste oder einem laut gerufenen „Stopp“. Aufarbeiten kann ich die Situation dann im Nachhinein immer noch. Etwa so: „Boah, du warst so sauer vorhin! Wie hat der andere dich denn so wütend gekriegt?“ – Und dann können wir darüber sprechen.

Übrigens ist das ja auch eine häufige Angst von Eltern, dass ihr Kind solches Verhalten dauerhaft zeigt. Doch mit Fortschreiten der kindlichen Reife verschwinden solche Muster, bzw. heftigen Gefühlsausbrüche oft von selbst wieder. Zumal, wenn ich es so vorlebe. (lacht) Ich boxe ja auch nicht meinen Mann, weil er vergessen hat das Brot zu kaufen. Oder trete ihn vors Schienbein, weil er die Spülmaschine nicht ausräumt.

Nochmal ganz konkret zu deinem Kurs: Was lernen die Eltern dort?

CORDULA MEIER: Der erste Schritt ist, zu erkennen, welche Probleme wir in der Familie überhaupt haben. Über welche Dinge streiten wir häufig? Oftmals sind das immer wiederkehrende, also ungelöste Konflikte. Zeitgleich entwickeln die Teilnehmer ein Gefühl dafür, wessen Problem es überhaupt ist.  Ohne zu viel zu verraten: Meist haben die Eltern mehr Probleme mit den Kindern als die Kinder mit ihren Eltern. Eltern brauchen also Werkzeuge, um Situationen besser meistern zu können. Wie kann ich meinem Kind helfen, wenn es das Problem hat? Oder, welche Möglichkeiten habe ich, als Eltern, mein Kind auf „meine Probleme“, „Wünsche“ oder „Bedürfnisse“ aufmerksam zu machen.

Beides funktioniert am effektivsten ohne den Einsatz von Drohungen, Strafen oder Vorwürfen. Hier kommt die Kommunikationspsychologie ins Spiel. Wir schaffen ein Bewusstsein dafür, dass die Wahl meiner Worte oftmals ausschlaggebend ist, wie mein Gegenüber darauf reagiert. Oftmals ist uns das gar nicht so bewusst oder beabsichtigt.

Der Kurs hat einen sehr hohen Praxisanteil. Denn es ist unabdingbar, dass wir das vermittelte Wissen erproben.

Hast du noch Kontakt mit ehemaligen Teilnehmern? Was berichten die so, wie es inzwischen bei ihnen läuft?

CORDULA MEIER: Alle fanden das Elterntraining bisher als Bereicherung. Wie sehr sie das Wissen aus dem Kurs anschließend in ihr Handeln einfließen lassen, kommt auch viel auf ihre persönliche Haltung an. Bei den meisten Eltern fällt diese neue Sicht auf Kinder auf sehr fruchtbaren Boden. Andere tun sich schwerer damit, sich von alten Verhaltensmustern zu lösen.

Wie würdest du heute die Situation bei euch in der Familie beschreiben? Alles Friede-Freude-Eierkuchen?

CORDULA MEIER: (lacht) Ganz sicher nicht. Familie ist Beziehungsarbeit, dort kommen unterschiedliche Menschen zusammen. Und es geht auch nicht immer allen gleich gut. Das Gordon-Training ist ja kein Problemlösungskurs. Manche Konflikte sind einfach Dauerbrenner, andere lösen sich recht schnell auf. Entscheidend ist unser Blick darauf. Ganz konkret hat sich bei uns verändert, dass es zum Beispiel keine körperlichen Auseinandersetzungen der Geschwister mehr gibt, auch Beleidigungen und Schimpfworte sind selten geworden. Beide Kinder können gut sagen, was sie brauchen und was nicht. Und ich als Mutter sehe meine Bedürfnisse und Wünsche als ebenso wichtig an. Es gibt keinen Verlierer oder Gewinner mehr. Jeder ist wichtig, und wir versuchen jeden Tag aufs Neue uns zu akzeptieren, wie wir sind.

Wie ich an anderer Stelle schon einmal geschrieben habe: Bei mir hat Thomas Gordon damals alles grundlegend verändert. Ich habe selbst das Elterntraining bei Cordula mitgemacht und kann es wirklich jedem nur ans Herz legen. Auch für Verena war Gordon der Startpunkt zum Umdenken in Bezug aufs Zusammenleben mit Kindern.

Der Kurs startet am 30. Oktober

Kurstermine:
Fr., 30.10.2020 von 18-21 Uhr; Sa.,31.10.2020 von 10-18 Uhr; Fr., 06.11.2020 von 18-21 Uhr; Sa., 07.11.2020 von 10-18 Uhr; Fr., 20.11.2020 von 18-21 Uhr; Sa., 21.11.2020 von 10-18 Uhr
Kursdauer: insgesamt 30 Zeitstunden
Seminarkosten: 257 Euro pro Teilnehmer (incl. Elternprogramm, Ermäßigung wenn beide Elternteile teilnehmen möchten)
Seminarort: 
Majas Bewegungszentrum, Schallbruch 41a, 42781 Haan
Anmeldung: Mail an cordula.meier-familientraining@gmx.de; Hier klicken für weitere Informationen.

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Birthe

Mama von Zwillingen und einer Großen, Trainerin für Gewaltfreie Kommunikation und Journalistin, lernt mit Begeisterung neue Dinge. Sie schwankt zwischen Freude und Verzweiflung über ihre lebendige Familie.

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